Jugendkultursammlung mit Techno- und House Archiv + Techno-Kit am Bereich Neue Medien
Prof. Dr. Birgit Richard
Archäologie des Nomadischen: Archivierung von Jugendkultur
Auch wenn es widersinnig erscheint, sind Bestrebungen der Bewahrung des flüchtigen Modischen, speziell von jugendkulturellen Stilen, die einen großen Einfluss auf Medien, Design, Mode und Kunst der Gesamtgesellschaft ausüben, kein vergebliches oder sinnloses Unterfangen. Ein kleiner exemplarischer Teil einer Kulturgeschichte des Alltags wird so sichergestellt. Von Theoretikern der Kunst- und Designtheorie wird er wenig beachtet, obwohl er wesentliche Erklärungsmuster für die Genese zeitgenössischer Formen zur Verfügung stellt.
• Eine Sammlung dient dem rekonstruierenden, archäologischen Umgang mit den fremden Kulturen in der eigenen und versucht kulturelle Praxen von Jugendkulturen zu verstehen und nachzuvollziehen. Der fremde Bereich in der eigenen Kultur wird nicht assimiliert, aber seine Mode und Ästhetik als bedeutungsvolle Phänomene aufgefasst, die von der Kreativität der Jugendlichen im Umgang mit Waren künden. Mit der Sammlung von Mode wird der Teil alltäglicher Kultur, der für Kinder und Jugendliche eine ganz entscheidende Rolle spielt, verfügbar gemacht. Auf der Grundlage einer konkreten materiellen Basis können die werkimmanente Analyse der Gestaltung von Mode und Produkten durchgeführt und gesellschaftliche Verweise herauskristallisiert werden. Die gewonnenen Erkenntnisse werden dann über das Medium Techno-Kit, das Archiv und später einmal über ein virtuelles Pendant im Internet weitervermittelt. Die Wechselwirkungen zwischen den gesellschaftlichen Systemen Alltagsästhetik, Kunst und Design sollen beobachtet werden, um den Blick dafür schärfen, ob eine ästhetische Erweiterung von Kommunikationsformen in den Jugendkulturen stattfindet, wie diese in andere Systeme vordringen und dort transformiert werden.
• Die Wechselwirkung zwischen den modischen Systemen zeigt, dass vorbehaltlose Begeisterung oder die inbrünstige Hoffnung, Jugendkultur verändere Gesellschaft einschneidend, ebenso wenig angebracht sind wie das Vorurteil, es handele sich um eine kulturindustriell gelenkte Herde. Die Sammlung von Gegenständen verschiedener Jugendkulturen ist ein zwiespältiges Verfahren, da es zeigt, daß ein geschlossenes Stilbild ein Konstrukt ist. Jugendkulturelle Stile sind Prozesse mit bedeutungsvollen punktuellen Akkumulationen von Gegenständen und einer Phase der relativ geschlossenen autopoetischen Reproduktion der stilistischen Kommunikationselemente. Das ist der Punkt, wo das von mir in Leben gerufene materielle Jugendkultur-Archiv in Frankfurt ansetzt. Es sammelt Jugendmoden (Punk, Gothic Punk, HipHop, Disco, Techno, House, Drum&Bass, Ambient, TripHop, Acid, Hardtrance, Gabber, BigBeat...) und -objekte wie Zeitschriften und Flyer und unternimmt den Versuch, einen Ausschnitt der Produktwelten von Jugendlichen zu bewahren, speziell das was man in den 90er Jahren mit Clubwear und Streetwear bezeichnet.
• Anhand des künstlichen Eingriffs eines Archivs, das das Flüchtige stillstellt, kann verdeutlicht werden, daß heute alle Elemente des Universums der Jugendkulturen nomadischer Natur sind und der internen Kommunikation immer wieder zur Verfügung stehen. Sie können jederzeit durch mediale Verfahren wie zappen, switchen, surfen, also durch die nicht-lineare Kombination von Bildern und Objekten, wieder in den Kreislauf der Stilelemente eingespielt werden. Damit werden auch die spezielle Mediennutzung von Jugendkulturen, ihre PR-Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit, berücksichtigt. Die multi-mediale Jugendkultur-Sammlung (mit Techno- und House Archiv) besteht seit 1994 (1994-1997 an der Universität Essen). Es handelt sich um eine Sammlung von Gegenständen der ästhetischen Lebenswelten von Jugendlichen mit den Subsektionen HipHop, Punk, Gruftie/Gothic, Industrial. Neben Accessoires aus diesen Szenen der 80er Jahre umfaßt es im Moment circa 600 Gegenstände aus der alltäglichen Produktwelt der Raver (Kleidung, Accessoires, Genußmittel, Printmedien, Videos).